Discussion:
Törnbericht Kopenhagen und die Sache mit dem Wegerecht und großen Schiffen [lang]
(zu alt für eine Antwort)
Joachim Reinke
2006-07-30 14:36:49 UTC
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Hallo!

Ich komme gerade von einem sehr schönen Törn nach Kopenhagen zurück,
hier die Zusammenfassung:

Törnzeitraum: 22.07.-28.07.
Schiff: Bavaria 38 match "Martha Maria"
Crew: 6 Personen, Skipper icke.
Besegelung: durchgelattetes Groß, G3, reffbare Sturmfock, Spi
Vercharterer: Yacht Kontor Rostock GmbH & Co. KG (den ich empfehlen kann)

22.07.06 (Rostock-Gedser)

11:00 Übernahme, Einkaufen, Kojenverteilung und Sicherheitseinweisung.
Dann gegen 14:45 Uhr Leinen los und unter Motor die Unterwarnow gen
Warnemünde. 16:10 Uhr Ostsee erreicht, Motor aus, Segel hoch uuuund...

...direkt die Flaute erwischt :-)

Windgeschwindigkeiten von ohrenbetäubenden 2-3 kn aus tendenziell
N-lichen Richtungen - soweit man bei so wenig Wind genaue Richtungen
benennen kann.

17:30 sind wir immer noch nicht aus der Ansteuerung Rostock raus. die
Gedser-Schnellfähren "PRINS JOACHIM" und "KRONPRINS FREDERIK" sind schon
einige Male an uns vorbeigefahren, was zumindest ein paar Wellen gab. Um ca.

18:00 bei völlig eingeschlafenem Wind dann die Entscheidung, den Motor
anzuwerfen und nach Gedser zu tuckern.

21:25 fest in Gedser, Außenlieger im Zweierpäckchen. Es sind zwar noch
ein paar Boxen frei, aber das Hafenhandbuch spricht von Versandung und
2.5 m Solltiefe und in der Boxengasse beginnt unser Lot warnend zu
piepsen (kleiner Konstruktionsfehler: warum zeigt es "shallow" an, wenn
es piepst und nicht mehr die Tiefe?). Schöner Sonnenuntergang. Aber
dafür ist Gedser mit seinem Blick nach W ja bekannt.

23.07.06 (Gedser-Rødvig)

10:00 Leinen los in Gedser. Ziel ist Klintholm. Weiterhin nur schwacher
Wind aus N-NW-lichen Richtungen, der aber gottseidank auf NW 3-4 Bft
auffrischt. Schöner voll-am-Wind-Kurs mit 7-8 kn Fahrt Ri. Ostspitze von
Møn.

15:30 Aufgrund des stärkeren, W-drehenden Windes Entscheidung
weiterzusegeln Ri. Rødvig. In der Fakse-Bugt dann W-WSW-liche Winde. Spi
hoch und Rauschefahrt bis nach Rødvig! Sehr klasse! Das ganze, wie schon
am Tag zuvor, bei tollem Sonnenwetter!

15:47 DSC-Notruf empfangen. Der DSC-Alarm ist wirklich unerträglich
laut. Bremen Rescue übernimmt, bekommt aber die auslösende "ALCOR II"
nicht ans Rohr. Irgendwann hat Bremen Rescue offenbar Kontakt bekommen,
wir hören die "ALCOR II" aber nicht. Später erzählt uns ein Nebenlieger
im Hafen, daß es ein blinder Alarm war und aus den Äußerungen von Bremen
Rescue zu erkennen war, daß der Verantworliche an Bord der "ALCOR II"
offenbar keinen Plan von der Bedienung des Funkgeräts hatte und sie ihn
dann auf dem Handy erreicht hätten.

20:45 fest in Rødvig. Außenlieger im 5er-Päckchen. Der Hafen ist arg
voll. Man kann trockenen Fußes durch's Hafenbecken laufen. Neben uns
liegen 2 Yachten des British Yacht Club Kiel. Wir kommen ins Gespräch.
Der nette Skipper ist auf Ausbildungsfahrt mit 5 Jugendlichen und möchte
auch am nächsten Tag Kopenhagen anlaufen. Rødvig ist ja nicht weit weg
von Kopenhagen und daher ein schöner Stop-Over. Er würde auch gerne ins
quirlige Christianshavn, sieht jedoch keine Chance, dort einen Platz zu
ergattern, selbst wenn man bereits gegen Mittag ankommt.

Mit Wolfgang Kommerells Tipp im Rücken wollen wir aber trotzdem unser
Glück versuchen.

Mit Blick auf unser Schiff meint der Engländer: "Of course, it's fast,
but you have to learn to sail it fast. I know my ship and know how to
trim it. I doubt you do. We'll leave tomorrow at 7.00 and then we will see."

24.07.06 (Rødvig-Kopenhagen)

07:00 Das 5er-Packchen zeigt erste Auflösungserscheinungen. Wir
entscheiden uns für ein Frühstück auf See, um endlosen Verhole-Aktionen
zu entgehen. Daher: Leinen los.

Ein hektischer Ableger der zwei englischen Comfortina 35 Yachten direkt
hinter uns läßt uns erahnen, daß hier sportliche Ambitionen vorliegen.

Wir motoren ca. 500 m aus der Hafeneinfahrt heraus nach S, um uns von
einigen Stellnetzfeldern freizuhalten und Platz zum Segelsetzen zu
haben. Ein Segelsetzmanöver der engl. Yachten hinter uns noch in der
Hafeneinfahrt und dann ein enges Entlangschrammen an den Stellnetzen
bringt die beiden Comfortinas ca. 300 m Entfernung, etwas achterlicher
als querab - und in Luv von uns - in Position. Und: ja, die wissen, wie
man ihre Schiffe trimmt.

Allerdings haben wir noch einen Trumpf im Ärmel: Mitseglerin K., die
"damals in der DDR" [tm] in irgendwelchen Kadern Jollen auf Regatta
gesegelt ist. Die entpuppt sich als begnadete Leinenzupperlin und wird
nicht müde, alles mögliche zu fieren und dichtzuholen. Mit Erfolg.
Weiter als querab kommen die beiden Comfortinas nicht heran, dann hat K.
die Segel eingestellt und die beiden fallen schnell weit weit zurück.

Schon bald wird der Wind N-licher und stärker, wir binden das erste Reff
ein, verzichten aber darauf, der G3 eine Wurst ins Vorliek zu drehen. Im
Zweifelsfall würden wir lieber das Groß bis ins 3. Reff setzen und die
Sturmfock anschlagen, als gerollrefft zu segeln.

12:00 Der Rest der Anfahrt ist in engem Fahrwasser genau gegen den Wind.
Motor an, Segel runter.

13:30 nach einer Sightseeing-Tucker-Runde, entlang an der neuen Oper,
der kl. Seejungfrau, durch den Nyhavn etc. fest in Christianshavn (sehr
zu empfehlen). An dieser Stelle nochmal danke für den Tipp an Wolfgang
Kommerell.

Es ist unerträglich heiß. Wir bauen uns aus der Sturmfock ein
knatschoranges Sonnendach - *der* Blickfang schlechthin für die
Hafenrundfahrten.

25.07. (Kopenhagen-Klintholm)

08:41 Leinen los, es steht ein stetiger NW 4 Bft, der uns auf einen
schönen Spi-Kurs runter nach Klintholm hoffen lässt. Noch im Sund flaut
der Wind ab und schralt auf SW-liche Richtungen. Schade. Das wird wohl
leider nichts. Aber wir haben ja Zeit. Die Fakse-Bugt erstreckt sich in
ihrer Weite zu unserer Stb-Seite, wir dösen, baden und essen bei SW 1-2
Bft und genießen den wolkenlosen Himmel.

17:45 Nach ein paar kleinen Flauten stehen wir etwas N-lich der Møner
Ost-Spitze. Der Wind hat sich gerade wieder auf erträgliche 7-8 kn
eingependelt, aber das Kap hat auf die hier stehende Welle einen sehr
unschönen Einfluß: steile kurze Welle mit 1-1.5 m Höhe genau von vorne.
Das killt jede Fahrt bei so wenig Wind. Wir fallen ab und laufen ein
Stück nach SE.

18:50 Wir haben die unschöne Welle hinter uns gelassen und gleiten in
einer Kreuz in die untergehende Sonne, die genau über Klintholm steht.

22:00 Fest in Klintholm. Wieder voller Hafen. Wieder der Außenlieger im
Fünferpäckchen. Die inneren vier sind diesmal etwas mehr auf etepetete
gepolt. Über's Deck laufen bitte nur 1x, nachts bitte auf gar keinen
Fall, die innen liegende 15 t Stahlyacht aus Belgien hat eine Crew, die
aus eher sauertöpfischen 60-jährigen besteht und fordert immer weiteres.
"Jetzt auf jeden Fall noch eine Landleine" (warum sollte eigentlich erst
der 5. im Päckchen die legen?) "Der Landstrom auf gar keinen Fall über's
Vordeck" (sondern durch ihr Wohnzimmer?), "Bitte andersum ans Päckchen
gehen" (aha?), "Bitte die Landleine mit diesem und jenem Knoten belegen"
etc. Naja. Wir machen freundliche Miene zu den Jungs. Natürlich wollen
sie bereits um 6 Uhr ablegen, natürlich erbiete ich mich, sie um 5 Uhr
zu wecken, natürlich werden dann die 6 Uhr schnell relativiert :-) Das
alte Spiel.

26.07. (Klintholm-Gedser)

09:00 Totenflaute. Weiterschlafen.

10:00 dito.

11:00 Leinen los bei einem leisen Lüftchen, dessen Konstanz schon durch
einen unbedachten Pups zunichte gemacht werden könnte.

Bei 1-2 Bft aus S-SE-lichen Richtungen gleiten wir leise nach S. Der
Versuch, den Spi als großen bauchigen Blister am als Klüverbaum
gefahrenen Spi-Baum zu setzen, macht uns 1 kn schneller. Wir kommen
recht hoch ran an den wenigen Wind.

14:30 Der Wind schralt auf S-SSW, wir können den Kurs auf die Ostspitze
von Falster nicht halten. Spi runter. G3 hoch.

15:00 von achteraus kommt eine niederl. First 40.7 "MOJO" unaufhaltsam
heran. Mit einer riesigen Genua. Und - ja, es fällt schwer, das zu
schreiben - geht ca. 100 m in Lee vorbei. Was gäbe ich jetzt nur für
eine G1 oder 'nen Code Zero. Es ist zum heulen! Angestrengt hat
Mitseglerin K. seit die Yacht aufkam an den Leinen gezuppelt, wir haben
aus ca. 6 kn Wind ca. 4.5 kn Fahrt herausgeholt (voll am Wind), was ich
als sehr brauchbare Ausbeute bezeichne.

Nachdem die "MOJO" in Lee durchgegangen ist, luvt sie an. Da müssen wir
wohl mitgehen, wenn wir nicht die nächsten 20 min in ihrem Abwind
stehenbleiben wollen. Naja, dann mal Ruder legen. K. trimmt, was das
Zeug hält. Und: oh Wunder, wir kommen locker flockig 10° höher an den
Wind als die "MOJO". Es dauert keine 5 min, dann hat die "MOJO" das
Unterfangen aufgegeben und fällt auf ihren ursprünglichen Kurs ab. Na
bitte, wenigstens was.

20:45 fest in Gedser. Abermals. Leider. Aber der Wind ist völlig
eingeschlafen und nachts manövrierunfähig auf der Linie Rostock-Gedser
rumzutreiben wollen wir nicht. Die geplante Nachtfahrt nach Fehmarn
entfällt. Ein toller Sonnenuntergang belohnt uns allerdings.

27.07. (Gedser-Heiligenhafen)

10:20 Leinen los bei 10 kn Wind aus N-NE. Spi hoch, Kurs Ansteuerung
Fehmarnsund.

11:30 Der Wind geht auf 18 kn, in Böen 22 kn hoch. Wir rauschen mit 6-8
kn in der Gegend des Kiel-Ostsee-Wegs Ri. Fehmarn.

12:40 Unser Radar und wir erkennen einen Kollisionskurs mit einem
Fracht-/Fährschiff "LISCO OPTIMA", das Ri. Kiel auf dem Kiel-Ostsee-Weg
fährt.

12:45 Wir funken auf 16 und fragen, was der Plan der "LISCO OPTIMA" ist.
Keine Antwort. Wir wiederholen das mehrfach. Nichts.

12:53 Die "LISCO OPTIMA" antwortet lapidar, daß sie ihren Kurs nicht
ändern werde.

12:55 Es würde zu knapp. Anluven und auf's Heck zuhalten würde uns zu
schnell machen mit dem Spi, wir würden sie dennoch erwischen. Weiter
abfallen würde eine Spi-Halse erforderlich machen. Den Spi also schnell
runter und dann ein Manöver des letzten Augenblicks gefahren. Die 186 m
lange, 25000 t schwere "LISCO OPTIMA" geht 100 m vor uns vorbei. Ohne
unser Ausweichmanöver hätte sie uns überlaufen. Position ist 54°27.6'N
011°42.8'E. Lt. Küstenwachschiff/Tonnenleger "SCHARHÖRN", dem wir den
Vorfall mitteilen, ist das leider internationales Gewässer, sonst hätten
sie gerne eine kleine Abordnung als Empfangskommitee nach Kiel entsandt,
wo die "LISCO OPTIMA" gem. Fahrplan um 16:00 Uhr erwartet wird.

Ich muß sagen, daß ich bisher eigentlich trotz des bestehenden
Vorurteils ("Die fahren einfach, die wissen ja, daß sie im Zweifelsfall
stärker sind") durchaus positive Erfahrungen gemacht habe bei
Begegnungen mit der Berufsschifffahrt. Häufig habe ich erlebt, wie ein
großes Schiff kurzzeitig mit der Geschwindigkeit gespielt hat, um den
Kollisionskurs zu vermeiden. Hin und wieder auch mit einer Kursänderung.

Hat jemand schon mal eine Anzeige in solchen Fällen gemacht? Ich werde
das mal ausprobieren.

Eine andere interessante Variante ist mir leider zu spät eingefallen:
Ich hätte ja gerne ein "PAN PAN ALL SHIPS" abgesetzt, in dem ich in
zuckerfreundlichem Ton schildere, daß da ein Schiff unterwegs ist, daß
der Ansicht ist, daß die KVR offenbar nur für die anderen gelten, daß
ich das für einigermaßen gefährlich halten würde, mir Sorgen machen
würde und sicherheitshalber mal vorschlage, einen Bogen um das Schiff zu
machen. Damit hätte es die "LISCO OPTIMA" zu der zweifelhaften
Berühmtheit gebracht, auf einen Schlag in ein paar tausend Logbüchern
Erwähnung zu finden. Wenn das dann noch 1-2x passiert, gibt es bestimmt
ein paar Leute, die sauer werden... na vielleicht das nächste Mal.

19:00 Fest in Heiligenhafen. Leider hat das Büro der Wasserschutzpolizei
schon zu und der Diensthabende der örtl. Polizeidienststelle sagt, daß
er von sowas keine Ahnung habe, er hätte ja nicht mal einen
Sportbootführerschein :-)

20:00 die Wettervorhersage für unseren letzten, nach E zurückgehenden
Schlag verheißt nichts Gutes. E-SE 4-5 Bft, Gewitterböen 9-10 Bft. Schluck.

21:00 der stetige E-Wind des heutigen Tages hört binnen 5 min völlig
auf. Aus W wird es dunkel. Nach 5 min Windstille setzt der Wind mit 2
Bft aus W ein. Das Barometer fällt seit heute Nachmittag zügig. Schluck.

28.07. (Heiligenhafen-Rostock)

07:30 Leinen los. Windstille.

08:30 Fehmarnsundbrücke passiert. Windstille.

09:30 Windstille.

10:30 Windstille.

11:30 Windstille.

13:00 6 kn Wind. Gähn.

18:00 Über 8 kn Wind ging es heute nicht hinaus. Fest in Rostock Stadthafen.


Gruß,
Joachim
Wolfgang Kommerell
2006-07-30 20:39:38 UTC
Permalink
Post by Joachim Reinke
Ich komme gerade von einem sehr schönen Törn nach Kopenhagen zurück,
hier die Zusammenfassung: [...]
Schöner Bericht, danke. Und freut mich, dass es Euch in Christianshavn
auch gefallen hat ...

W.
Paul Hink
2006-07-30 20:52:17 UTC
Permalink
Post by Joachim Reinke
27.07. (Gedser-Heiligenhafen)
[...]
12:40 Unser Radar und wir erkennen einen Kollisionskurs mit einem
Fracht-/Fährschiff "LISCO OPTIMA", das Ri. Kiel auf dem
Kiel-Ostsee-Weg fährt.
12:45 Wir funken auf 16 und fragen, was der Plan der "LISCO OPTIMA"
ist. Keine Antwort. Wir wiederholen das mehrfach. Nichts.
12:53 Die "LISCO OPTIMA" antwortet lapidar, daß sie ihren Kurs nicht
ändern werde.
Hui. Naja, vielleicht wollten sie diese Woche den Fahrplan einhalten.

Paul, der am 21./22. (ähem, dann eigentlich doch nur am 22.) mit der
LISCO OPTIMA und gut drei Stunden Verspätung von Klaipeda nach
Kiel gefahren ist
Hans-Peter Nicasius
2006-07-31 10:51:17 UTC
Permalink
Post by Joachim Reinke
Hallo!
Ich komme gerade von einem sehr schönen Törn nach Kopenhagen zurück,
snippp...
Gruß,
Joachim
Wirklich schöner Bericht. Könnte man doch auf unserer HP in Langform
(evtl. mit Bildern?) einstellen.

Gruß
Charly
Edgar Warnecke
2006-08-01 05:19:16 UTC
Permalink
Post by Joachim Reinke
Hallo!
Ich komme gerade von einem sehr schönen Törn nach Kopenhagen zurück,
TX vom "Trockenen".

***@r
--
*** Einfach ist genial / fácil es genial ***
Berichte aus Paraguay [last update: 08.05.06]
http://edgar-warnecke.schmuckfabrik.de
Martin Bohm
2006-08-02 06:32:32 UTC
Permalink
Post by Joachim Reinke
12:40 Unser Radar und wir erkennen einen Kollisionskurs mit einem
Fracht-/Fährschiff "LISCO OPTIMA", das Ri. Kiel auf dem Kiel-Ostsee-Weg
fährt.
12:45 Wir funken auf 16 und fragen, was der Plan der "LISCO OPTIMA" ist.
Keine Antwort. Wir wiederholen das mehrfach. Nichts.
12:53 Die "LISCO OPTIMA" antwortet lapidar, daß sie ihren Kurs nicht
ändern werde.
12:55 Es würde zu knapp. (..)
Ja, ja die Sache mit dem Wegerecht (oder besser Ausweichpflicht) und großen
Schiffen... Wurde sicher schon oft hier diskutiert und ist wohl eine unendliche
Geschichte. So will ich mich auch noch etwas auslassen:

Nach meinen Erfahrungen ist es zumindest auf dem offenen Wasser und bei guter
Sicht mit einem Sportboot immer möglich, durch geringfügige aber frühe
Änderungen von Kurs oder Geschwindigkeitsänderungen dafür zu sorgen, dass es
zur Ausweichsituation im eigentlichen Sinne gar nicht erst kommt. In Eurem Fall
verging eine viertel Stunde zwischen Erkennen des Kollisionskurses und dem
Ergreigen eigener Maßnahmen. Ich kann verstehen, dass Ihr keine Lust hattet,
vermeidbare Manöver unter Spi zu fahren, aber ich unterstelle, dass um 12:40 ein
schon ein geringfügiges fieren der Großschot genügt hätte und die LISCO OPTIMA
ginge sicher vor Euch durch.
Wenngleich an Deinem verhalten rechtlich nichts zu beanstanden ist, ich habe es
bislang anders gehandhabt und werde wohl auch dabei bleiben. Um
Missverständnissen vorzubeugen, ich meine nicht eine Umkehrung oder Aufhebung
der Ausweichregeln, sondern nur frühzeitige und geringfügigste Manöver, die eine
Begegnungssituation von vornherein entschäfen.

Übrigens Deine nachträgliche Idee ein "Pan Pan" zu senden, halte ich auch nicht
für gut. Eine sehr ernste Lage die zu einer Notsiuation führen könnte, hatte
nachträglich für Euch nicht mehr bestanden. Über ein Securité aber könnte man
nachdenken.

Martin
Benjamin Wrzecionko
2006-08-03 07:17:21 UTC
Permalink
Post by Martin Bohm
Wenngleich an Deinem verhalten rechtlich nichts zu beanstanden ist, ich habe es
bislang anders gehandhabt und werde wohl auch dabei bleiben. Um
Missverständnissen vorzubeugen, ich meine nicht eine Umkehrung oder Aufhebung
der Ausweichregeln, sondern nur frühzeitige und geringfügigste Manöver, die eine
Begegnungssituation von vornherein entschäfen.
KVR Regel 8 (b):
"Jede Änderung des Kurses und/oder Geschwindigkeit zur Vermeidung eines
Zusammenstoßes muss, wenn es die Umstände zulassen, so groß sein, dass
ein anderes Fahrzeug optisch oder durch Radar sie schnell erkennen kann;
aufeinanderfolgende kleine Änderungen des Kurses und/oder
Geschwindigkeit sollen vermieden werden."

KVR Regel 17 (a):
"(i) Muss von zwei Fahrzeugen eines ausweichen, so muss das andere Kurs
und Geschwindigkeit beibehalten (Kurshalter).
(ii) Der Kurshalter darf jedoch zur Abwendung eines Zusammenstoßes
selbst manövrieren, sobald klar wird, dass der Ausweichpflichtige nicht
angemessen nach diesen Regeln handelt."

Da wir ja grad den letzten Untersuchungsbericht der BSU hatten und dort
ganz deutlich auf die Gefahren von nicht KVR-konformen Verhalten
hingewiesen wurde (bzw. hier sogar unfallverursachend war), finde ich
Joachims Verhalten das *einzig* Richtige.

Man muss sich hierbei ja auch mal in die Lage der Berufsschifffahrt
versetzen: Der redliche Wachoffizier erkennt seine Ausweichpflicht, will
frühzeitig ein Manöver einleiten, sieht dann, dass der Segler aus
unerfindlichen Gründen rumeiert und kann kein sicheres, mit dem
geringstmöglichen Aufwand verbundenes Manöver fahren.

Natürlich - sobald erkennbar ist, dass grad ein unredlicher Wachoffizier
unterwegs ist, ist man dazu verpflichtet, selbst zu handeln, Ablauf s.
KVR usw. Dass das Manöver des letzten Augenblicks in diesem Dimensionen
u. U. auch bereits in 2sm Abstand erfolgen muss, steht außer Frage.

Viel Grüße
Ben
Martin Klosa
2006-08-03 08:21:36 UTC
Permalink
Post by Benjamin Wrzecionko
Post by Martin Bohm
Wenngleich an Deinem verhalten rechtlich nichts zu beanstanden ist, ich
habe es bislang anders gehandhabt und werde wohl auch dabei bleiben. Um
Missverständnissen vorzubeugen, ich meine nicht eine Umkehrung oder
Aufhebung der Ausweichregeln, sondern nur frühzeitige und geringfügigste
Manöver, die eine Begegnungssituation von vornherein entschäfen.
Da wir ja grad den letzten Untersuchungsbericht der BSU hatten und dort
ganz deutlich auf die Gefahren von nicht KVR-konformen Verhalten
hingewiesen wurde (bzw. hier sogar unfallverursachend war), finde ich
Joachims Verhalten das *einzig* Richtige.
Hmh, Martin B. schrieb ganz treffend: "frühzeitige und geringfügigste
Manöver, die eine _Begegnungssituation von vornherein entschäfen_". Das
verstehe ich so, dass er im Vorfeld keine Situation entstehen lässt, die
Ausweichmanöver nach KVR oder sogar "Manöver des letzten/vorletzten
Augenblicks" erfordern. Insbesondere das Manöver des vorletzten Augenblicks
müsste von den Großschiffen doch schon recht frühzeitig (3 sm?) erfolgen.

Auf meinem letzten Törn über den Kanal hatten wir einen Skipper mit 21
Jahren Erfahrung in der Berufsschiffahrt als 1. Offizier an Bord. Es war
sehr beeindruckend, wie vorausschauend und umsichtig seine Kursanweisungen
waren. Annäherungen an die Berufsschifffahrt wurde von vornherein
vermieden.

Ein Meer von kurshaltenden Sportbooten wäre für die Berufsschifffahrt kein
Geschenk.

Auch erscheint mir die Idee ein "PAN PAN" oder auch "Securité" als Warnung
an die Schifffahrt abzusetzen für etwas überzogen. Per Funk informierte die
LISCO OPTIMA, dass eine Kursänderung nicht erfolgen wird, welche Gründe
dafür bestanden steht auf einem anderen Blatt.

Im Sinne von Sicherheit und _Leichtigkeit_ im Verkehr...

Martin K.
Wolfgang Kommerell
2006-08-03 08:36:09 UTC
Permalink
Post by Benjamin Wrzecionko
"Jede Änderung des Kurses und/oder Geschwindigkeit zur Vermeidung eines
Zusammenstoßes muss, wenn es die Umstände zulassen, so groß sein, dass
ein anderes Fahrzeug optisch oder durch Radar sie schnell erkennen kann;
aufeinanderfolgende kleine Änderungen des Kurses und/oder
Geschwindigkeit sollen vermieden werden."
"(i) Muss von zwei Fahrzeugen eines ausweichen, so muss das andere Kurs
und Geschwindigkeit beibehalten (Kurshalter).
(ii) Der Kurshalter darf jedoch zur Abwendung eines Zusammenstoßes
selbst manövrieren, sobald klar wird, dass der Ausweichpflichtige nicht
angemessen nach diesen Regeln handelt."
Da wir ja grad den letzten Untersuchungsbericht der BSU hatten und dort
ganz deutlich auf die Gefahren von nicht KVR-konformen Verhalten
hingewiesen wurde (bzw. hier sogar unfallverursachend war), finde ich
Joachims Verhalten das *einzig* Richtige.
Nein, durchaus nicht - wenn du schon KVR-Regeln zitierst, hättest du
auch noch die 8 (c) zitieren können. Aber gut, es ist irgendwie meine
Spezialität, auf diese Regel hinzuweisen, also tue ich's auch hier gern.
Sie ist nämlich in meinen Augen für die Sportschifffahrt eine der
wichtigsten, wird aber leider offenbar in der Segelausbildung gern
unterschlagen - vielleicht weil sie etwas schwammig ist. Außerdem ist es
offenbar von vielen nicht einfach zu verstehen, dass sich zwar bei
Insichtkommen schon entscheidet, wer *im Falle* einer Ausweichsituation
ausweichpflichtig und wer kurshaltepflichtig wird; *dass* es aber
überhaupt zu einer Ausweichsituation (Nahbereichslage mit Möglichkeit
der Gefahr einer Kollision - prägnanter auf englisch: "close quarters
situation") kommt, entscheidet sich meistens erst wesentlich später. Und
genau dieses Zeitfenster zwischen Insichtkommen und Entstehen der
Nahbereichslage deckt 8 (c) ab:

KVR Regel 8 (c)
"Ist genügend Seeraum vorhanden, so kann eine Kursänderung allein die
wirksamste Maßnahme zum Meiden des Nahbereichs sein, vorausgesetzt, dass
sie rechtzeitig vorgenommen wird, durchgreifend ist und nicht in einen
anderen Nahbereich führt."

Der Knackpunkt dabei ist natürlich das "rechtzeitig"; was auf einem
Sportboot noch als rechtzeitig empfunden wird, kann möglicherweise ein
bereits eingeleitetes Manöver der Großschifffahrt konterkarieren.
Nichtsdestotrotz gibt es häufig genug Situationen, in denen man sich
sicher sein kann, "rechtzeitig" nach 8 (c) manövrieren zu können.

W.
Wolfgang Kommerell
2006-08-03 09:37:04 UTC
Permalink
Post by Wolfgang Kommerell
Nichtsdestotrotz gibt es häufig genug Situationen, in denen man sich
sicher sein kann, "rechtzeitig" nach 8 (c) manövrieren zu können.
Kleine Ingrid dazu:

Dieses manövrieren nach 8 (c) ist *kein* Ausweichen im Sinn der KVR. Es
unterliegt dadurch auch nicht den Anforderungen der Regel 8 (b).

W.
Joachim Reinke
2006-08-04 18:31:29 UTC
Permalink
Hallo Martin, Benjamin, anderer Martin und Wolfgang,

ich verfolge die Diskussion mit Interesse. Die Regel 8 (c) war mir in
der Tat so nicht bekannt. Wolfgang hat Recht, die kommt wohl etwas zu
wenig vor. Mir war bekannt, daß die Situation sich beim In-Sicht-Kommen
stellt und ab da die Ausweichregeln gelten. Ich werde meine derzeitige
Abendlektüre vielleicht doch mal gegen die KVR austauschen :-)

Zur Lage selbst noch zwei Details:

Der Winkel, in dem sich die "MARTHA MARIA" und die "LISCO OPTIMA"
begegneten, war sehr spitz. Das sind ja bekanntlich die Winkel, die
sowohl vom Radar-Rechner als auch vom menschlichen Auge die am
schwierigsten zu beurteilenden sind.

Aus dem Grund wollte ich den Spi erst bergen, wenn es wirklich soweit
kommt. Ich hätte keine Probleme damit gehabt, 50 m hinter der "LISCO
OPTIMA" durchzugehen. Die stand in Lee von uns, das wäre gegangen. Der
Wind war stark genug, daß die Heckwelle den Spi auch nicht zum Einfallen
oder Vertörnen gebracht hätte.

Daß ich den Spi nicht schon bei 2 sm Entfernung geborgen habe, lag
einfach daran, daß ich mir da noch nicht so sicher war, daß es
tatsächlich zu einer so nahen Lage kommen würde (die Sache mit dem
spitzen Winkel halt) und daß man ein Spi-Berge-Manöver nicht gerne
unnötigerweise fährt. Des weiteren waren die Mitsegler an ihren
Positionen zum Bergen des Spis rechtzeitig bereit, um genau in dieser
Situation den Spi schnell wegzukriegen. Was ja auch geklappt hat.

Um jetzt schon mal dem "Ja aber was wäre denn passiert, wenn ihr den Spi
nicht wegkriegt hättet" vorzubeugen, die sicherlich kommen werden: eine
der drei Leinen Schot, Achterholer und Fall kann man notfalls *immer*
ausrauschen lassen. Was zugegebenermaßen laut ist, aber die
Manövrierfähigkeit des Schiffs wieder herstellt. Die ja unter Spi nur
mittelprächtig ist.

Gruß,
Joachim
Benjamin Wrzecionko
2006-08-11 20:57:05 UTC
Permalink
Post by Wolfgang Kommerell
Post by Wolfgang Kommerell
Nichtsdestotrotz gibt es häufig genug Situationen, in denen man sich
sicher sein kann, "rechtzeitig" nach 8 (c) manövrieren zu können.
Ich schließe mich Joachim an, und gestehe, dass mir diese Regel so auch
nicht bewusst war, trotz der formalen Nähe zu meinen zitierten ;).
Insgesamt bin ich auch nicht sicher, ob diese Regel nicht eher dazu
verführt, klare und eindeutige Situationen u. a. wegen der von dir auch
angesprochenen Probleme wieder undurchsichtig werden zu lassen.
Post by Wolfgang Kommerell
Dieses manövrieren nach 8 (c) ist *kein* Ausweichen im Sinn der KVR. Es
unterliegt dadurch auch nicht den Anforderungen der Regel 8 (b).
Ok, wo findet man diese (nicht unerhebliche) "Meta-Information"?

Viele Grüße
Ben

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